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Entfaltungen, Unvergessliches in Bildern

Mit der ihr eigenen Behutsamkeit ist sie dem Geheimnis des Lebens auf der Spur, das sich letztlich nicht ergründen lässt. In Ihren Werken ist Transparenz zentral, nicht zuletzt auch in den verwendeten Materialien. Sie sucht hinter das Offensichtliche zu blicken und das Tiefere, das Dahinter liegende zu entdecken. Inspiration findet Annemarie Baumgarten in der Natur und vor allem auch in der zwischenmenschlichen Beziehung. Sie lässt sich ansprechen von menschlichen Schicksalen, wo immer sie ihr begegnen. Dabei sind die Hoffnung und die erneuernde Kraft der Liebe sind Leitmotive ihres Schaffens.

Der Betrachter/die Betrachterin ihrer Werke ist eingeladen herauszutreten aus der Geschäftigkeit des Alltags, innezuhalten, und im Stillwerden, den Fragen und dem Sinn der eigenen Existenz nachzuspüren, vielleicht mit Gott ins Gespräch zu kommen oder sich berühren zu lassen von der Kunst und ihr innewohnenden Transzendenz.

Mir bleibt von den Werken der Künstlerin der tiefe Respekt vor dem Leben und vor dem, was durch den Schmerz hervorgebracht wird. Die hier präsentierte Werkschau mit dem Titel „Entfaltung. Unvergessliches in Bildern“ widmet sich drei Themenkreisen: Die ersten beiden sind zum größten Teil nach einem Aufenthalt im Heiligen Land entstanden. Zunächst: Hinhören, Begegnung, sich auf den Weg machen, das Einbrechen von Licht. Dann folgt das große Thema der Hoffnung, die Erfahrung der Wüste, die Suche nach der Quelle. In den Gegensätzen des Lebens gewaltfrei bleiben, indem wir auch einander schützen.

„Unsterbliche Sehnsucht“ heißt ein Werk. Ein anderes „Erlösung finden“. In beiden Werken begegnet uns das Streben der Menschheit, die um ihr Leben ringt.Im Werk „Lo scatto notturno“ ist der dunkelste Punkt erreicht. Es ist Ausdruck einer spirituellen Erfahrung. In der Dunkelheit und in Leere wird Gott erfahrbar, weil er selbst in der Verlassenheit am Kreuz dorthin gegangen ist.

Dazu einige Zeilen von Chiara Lubich, eine wesentliche Inspirationsquelle der Künstlerin:„Damit wir das Licht hätten, hast du die Dunkelheit erlebt.Damit wir die Einheit hätten, hast du die Trennung vom Vater erfahren. Damit wir die Weisheit besäßen, bist du „Torheit“ geworden. Damit wir hoffen könnten, bist du fast verzweifelt. Damit Gott in uns wäre, hast du die Ferne von ihm verfahren. Du bist Gott, mein Gott, unser Gott, unermessliche Liebe.“ Daran schließen sich zwei Werke an: Das freistehende Bildobjekt „La notte di Maria“ und auf der Staffelei„Il silenzio di Maria“ aus dem Jahr 2007.

Die Technik und die verwendeten Materialien der ausgestellten Werke haben sich gewandelt. Sie sind haptischer, farbiger, bleiben aber lasierend. Auf feines Himalaya- und Japanpapier wird Farbkleister mit Pigmenten aufgetragen. Im nicht ganz feuchten Zustand wird dann das Papier „gekämmt“. Es kommt zu Überlagerungen: Drinnen und draußen vermischt sich. Es ist ein gegenseitiges Durchdringen. Annemarie Baumgarten nennt es den gesteuerten Zufall und meint, am Schönsten sei es wenn die Malerei die Führung übernimmt. Wenn ein Rollentausch passiert und sie schließlich von dem fasziniert ist, was passiert.

Im dritten Themenkreis begegnet uns ist die Natur. Zerstörung und Vergänglichkeit und das neuerliche Erwachen des Lebens. Annemarie Baumgarten setzt hier die Technik der Grattage ein. Die verwendeten Materialien sind nicht überaus kostbar. Sie haben experimentellen Charakter wie z.B. Stoff, Mullbinde oder Fragmente von Palmblättern, wie im Bild „Krone der Hoffnung“. Das Werk „Bussana vecchia“ ist eine Hommage an einen Ort in Ligurien, der bereits im 17. Jahrhundert von einem Erdbeben schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Durch Künstler ist Jahrhunderte später hier wieder Leben hingebracht worden. Musik, Begegnung, gemeinsames Arbeiten. Nur wenige Wochen, nachdem sie diesen Ort im Sommer 2016 besucht hatte, bebte in Mittelitalien die Erde und zerstörte Vieles. Bussana vecchia ist die Achtung vor dem, was geschieht, was Leben bedeutet. Auch Sterben und Verwandlung sind Teil des Ganzen und wir alle haben eine bestimmte Zeitspanne zu leben. In der Schneewolke ist dieses Thema des Lebens ebenfalls aufgegriffen, ein neuer Raum wird angedeutet. Er lädt uns ein tiefer zu blicken. Das Leben, Mysterium, das sich immer neu entfaltet und neu aufbricht.

Noch einmal zum Abschluss möchte ich einen Gedanken der bereits zitierten Chiara Lubich aufgreifen:
„Was ist das Leben? Das Leben ist ein Geheimnis. Gott, der es geschaffen hat, weiß, was es ist. Wenn wir es von außen betrachten, stellen wir fest: Leben, das ist nichts Gleichbleibendes, sondern es entfaltet sich; es ist nichts Statisches, sondern in Bewegung. Auf einen Stillstand folgen neue Aufbrüche, folgt Wachstum. Leben ist etwas, das jedes Hindernis überwindet, das sich ausbreitet; es ist überwältigend.“

Auszug aus der Einführung in die Ausstellung "Entfaltungen, Unvergessliches in Bildern“ von Karin Oberegelsbacher, 2017 Ort: Kunst im Gang im Servitenkloster, 1090 Wien im Servitenkloster in Wien