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Das Licht in und unter den Dingen erspüren
Im Gespräch mit der Malerin Annemarie Baumgarten

Sie sind gebürtige Freiburgerin, aber seit mehr als zwanzig Jahren außerhalb Ihres Geburtsortes künstlerisch tätig. Nun haben Sie einen Auftrag im Collegium Borromaeum angenommen. Es geht um die Gestaltung der Glasfenster im neuen Speisesaal.

Natürlich freue ich mich sehr, dass ich mich nun auch in Freiburg mit meiner Arbeit einbringen kann. Hier ist ja meine Leidenschaft für die Kunst entstanden und gerade das Freiburger Münster bedeutet mir sehr viel. Das CB befindet sich in seiner unmittelbaren Nähe, was letzten Endes auch mein künstlerisches Konzept der Glasfenster mitbestimmt hat.
Zu Freiburg habe ich vielerlei Verbindungen. Über die familiären Kontakte hinaus denke ich spontan an Persönlichkeiten wie Spiritual Dr. Herrmann oder Klaus Hemmerle, dem späteren Bischof von Aachen. Sie haben meine künstlerische Arbeit von innen her begleitet, weniger konkret, und mir Weite und Vision gegeben.

Sie wurden im CB mit einer präzisen Aufgabenstellung konfrontiert: es handelt sich um einen multifunktionalen Raum in einem kirchlichen Haus. Die großformatigen Fenster sollten nicht figurativ, sondern rein farblich gestaltet werden.

Gerade diese Vorgabe hat mich sehr angesprochen. Ich konnte mich anders als bei der traditionellen Glasgestaltung, bei der Bleiverglasung eingesetzt wird, frei bewegen. Mir war von Anfang an klar, dass die Farbe kein dekoratives Element sein sollte, sondern Träger einer inneren Wirklichkeit. Im sehr gelungenen Saal, der eine Innenhofsituation aufnimmt, sind die Fenster sozusagen der einzige „Bildschmuck“. Die technische Herausforderung besteht darin, die Glasfenster von zwei Seiten anschaulich zu machen. Bekannterweise haben Glasfenster in Kirchen eine Schauseite (innen) und eine Außenseite.

Dem Projekt liegt eine ungewöhnliche Idee zugrunde. Sie haben religiöse Texte aus dem Evangelium genommen und sie daraufhin untersucht, welche Tageszeiten darin genannt sind.

Ich kann nur künstlerisch ausdrücken, was ich selbst stark empfinde und was sich dann durch die Kunst äußern kann. Mir war aufgegangen, dass alle unsere Erlebnisse und Erfahrungen immer in Raum und Zeit wahrnehmbar sind in Verbindung mit bestimmten Lichtverhältnissen. Ich kann also durch die Betrachtung einer Landschaft oder eines Ortes wie „dahinter schauen“. Eine atmosphärische Situation vermittelt für mich auch eine seelische oder innere Stimmung und kann ausdrücken, wo ich mich gerade befinde.
Als ich nun die Stellen mit den Zeitangaben gelesen und aufgenommen hatte, konnte ich mir vorstellen, was zwischen den Menschen und auch in der Begegnung mit Jesus passiert war. Das habe ich dann in Farbe übertragen. Bei der Komposition – die Fenster haben unterschiedliche Formate – bin ich vom Grundelement des Quadrates ausgegangen.

Es scheint, dass der Betrachter der Fenster ein bestimmtes Vorwissen mitbringen muss, um die Inhalte aufnehmen zu können. Dem spontan vorbeigehenden Besucher erschließt sich damit nur ein Bruchteil.

Nein, die Menschen müssen nichts dazu wissen, wenn sie die Fenster betrachten. Sie können einen Impuls empfangen, dem sie dann mehr nachspüren können, wenn sie das wünschen. Der erste Eindruck ist wichtig, aber er ist auch nur ein Anfang. Die Bilder möchten wirken und laden ein, dass man ihnen nachspürt. Es geht nicht um ein Wissen, sondern um Begegnung, die geschieht, Begegnung auch mit Personen aus dem Evangelium: Da ist die samaritische Frau, die Jesus am glühend heißen Mittag am Brunnen trifft, und sich nach mehr als nach Wasser sehnt oder Nikodemus, der abends, wenn alle schlafen, Jesus besucht und sich im Schutz der Nacht über die neuen und revolutionären Lehren mit ihm unterhält. Man kann, muss aber nicht die Stellen nachlesen.

Neben der Glaskunst liegt der Hauptteil Ihres Schaffens im Bereich der Malerei. Welches sind dabei die Themen, die Sie interessieren? Ein Künstler hat ja in der Regel ein Grundmotiv, das ihn leitet. Beuys ging es beispielsweise um die soziale Wirkung seiner Kunst. Ihm schwebte vor, eine Kathedrale zu bauen, wie er sagte, natürlich im übertragenen Sinn gemeint: ein neues Verständnis für Kultur, Recht, Geist und Wirtschaft in die Menschengemeinschaft zu bringen.

Ich persönlich schätze Beuys sehr und sehe in ihm einen integren und aufrüttelnden, auch bewusst irritierenden Menschen. Mit ihm verbindet mich sicher die gemeinschaftliche Dimension – nichts steht für sich allein. Eine Kunst für die Kunst macht keinen Sinn. Mein Hauptthema ist die Betrachtung des Lichts in unserem Leben. Es spielt eine große Rolle, auch dann wenn es abwesend ist. Alle Menschen wollen im Licht stehen, leben, aber müssen wir dafür erst durch Dunkel oder Halbdunkel. Das zeigen ja auch die Kontraste: hell-dunkel, viel-wenig.
Aus der Betrachtung des Geschaffenen, der Natur, lerne ich nach und nach die Welt im Licht zu sehen, aber nicht in einem oberflächigen Licht der äußeren Erscheinung. Es gibt ein Licht in und unter den Dingen. Einfachste und unscheinbarste Dinge stehen in Beziehung in einem großen Ganzen.
Mittlerweile interessieren mich weniger Motive konkreter Art, sondern die Beziehung von Farben und Formen in Abhängigkeit von der Strahlung des Lichts. Nichts existiert für sich.

In einem Künstlermanifest der frühen vierziger in den USA formulierten die Maler Mark Rothko und Adolph Gottlieb: „Es ist unsere Aufgabe als Künstler, die Betrachter dahin zu bringen, die Welt mit unseren Augen zu sehen – nicht mit ihren.“

Der Künstler ist sicher jemand, der den Menschen eine Sicht der Welt anbieten kann, die sich vielleicht als solche nicht auf den ersten Blick erschließt. Er sieht mit sensiblen, sicher auch geschulten Augen. Er drückt aber immer etwas aus, was schon da ist. Er muss es nicht herbei phantasieren, sondern nur sichtbar machen.

Ich muss als Künstler in mir die Sinne offen halten, die Wahrnehmung schärfen für das, was ist und Dinge aufzeigen, die sonst übersehen werden könnten.

Wenn Sie ein Bild malen, möchten Sie ja etwas Bestimmtes ausdrücken. Kann der Künstler überhaupt mit einer bestimmten Vorstellung an die Arbeit gehen? Ich denke hier an eine Tagebuchaufzeichnung des Malers Gerhard Richter von 1990: „Jede Überlegung, die ich zum „Bau“ eines Bildes anstelle, ist falsch, und wenn die Ausführung gelingt, dann nur deshalb, weil ich sie teilweise zerstöre oder weil sie trotzdem funktioniert; indem sie nicht stört oder wie geplant aussieht.“


Am Anfang eines Werkes steht für mich weniger ein Bild, als ein bestimmter Seelenzustand. Ich „sehe“ mit dem inneren Auge, erschließe Zusammenhänge, erkenne etwas aus dem Leben. Dieser innere Impuls durchläuft dann verschiedene Phasen ähnlich wie Richter sie beschreibt. Es gibt die Momente der Inspiration, aber auch der Irritation, des Zerstörens eines bestimmten gelungengen Details, weil sich das Gesamte noch im Entstehungsprozess befindet. Für diese Veränderung braucht es Mut und nicht selten übernimmt dann die Malerei die Führung, ich gebe sie aus der Hand.

Für die Qualität des Bildes ist entscheidend, dass die Momente des Scheiterns, der Störung durchgestanden und integriert sind. Es gibt im Leben nichts Überflüssiges oder Nebensächliches. Alles, was mich im Jetzt betrifft, gehört dazu, und zwar nicht nur während des konkreten Malprozesses, sondern auch davor und danach. Das entstandene „Schöne“ kristallisiert sich aus den dunklen Momenten. Diesen Vorgang könnte man fast als metaphysisch bezeichnen, denn das Ergebnis ist nichts Subjektives oder persönliche Phantasie, sondern oftmals ein „Wunder“, hinter dem der Maler zurück tritt. Dann ist es der Betrachter, der den selbstständigen Dialog mit dem Werk aufnimmt. Das Werk hat sich vom Künstler abgenabelt.

Irene del Valle