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Klaus Hemmerle und mein schöpferisches Arbeiten

Klaus Hemmerle hat kein einziges meiner Bilder gesehen, er hat keine meiner Ausstellungen besucht oder mich konkret in einem Projekt beraten. Doch seine Rückmeldungen auf meine künstlerische Tätigkeit waren immer wesentlich für mich. Die Beziehung zu ihm bleibt lebendig und tragfähig.

Einige Male sind wir uns persönlich begegnet. Diese Momente waren für mich – im Nachhinein gesehen – wie Kristallisationspunkte, die etwas klar erkennen ließen, was unbestimmt schon vorhanden war.

Was verband uns? Rein äußerlich dieselbe Geburtsstadt Freiburg im Breisgau. Dann die Zugehörigkeit zur Fokolar-Bewegung und damit das Engagement in Kirche und Gesellschaft für die Einheit. Das Tiefste, das ich an ihm schätzte und wovon ich künstlerisch stark profitierte aber waren seine Visionen, die auch mit Zukunft, aber doch sehr stark mit der Gegenwart zu tun hatten. Er „sah“ den Anbruch einer neuen Zeit, einer neuen Kirche, einer neuen Kunst. Und damit bestärkte er in mir, was sich dann allmählich entwickelte und in meinem Schaffen gegenständlich wurde.

Die erste Begegnung war im Zusammenhang mit dem plötzlichen Tod meines Vaters. Sie war für meine ganze Familie entscheidend, weil wir in Klaus Hemmerle auf einen Menschen trafen, der uns über den Schmerz hinweg half und gleichzeitig in anderer Qualität wie ein Vater wurde. Der Briefwechsel beispielsweise mit meinem Bruder hat diesen als Pianisten und Menschen sehr begleitet. Auf die Einladung zu einem Klavierkonzert – er war damals schon Bischof in Aachen – antwortete Klaus Hemmerle handschriftlich und ging persönlich und ausführlich auf seine musikalische Arbeit ein.

Die weiteren Begegnungen waren eng mit meiner künstlerischen Arbeit verbunden. Obwohl sich Klaus Hemmerle für den Weg des Priesters entschieden hatte, war er von seiner Seele her – wenn man so sagen kann - ganz Künstler. Er musizierte, dichtete und malte. In ihm verdichtete sich für mich Intuition und Genialität, sodass ich in der Begegnung mit ihm immer stark inspiriert und angeregt wurde.

Ein besonderer Moment der Inspiration war am Tag seiner Beisetzung im Aachener Dom. Zusammen mit dem Künstler Roberto Cipollone hatte ich den Auftrag erhalten, eine Kapelle in Wien zu gestalten. Ich hatte einen Glasschirm konzipiert, der den Altar umschließen sollte und war noch auf der Suche nach einem Thema. Als ich am Grab vom Klaus Hemmerle stand, „sah“ ich die Idee und schlagartig war mir klar, was ich zu tun hatte. Das Motiv: eine Stadt, die von einer Sonne durchleuchtet wird, die nicht – klassisch – am Himmel scheint, sondern von unten und innen wärmt, umfängt und erstrahlt.

Früher hatte ich Gott „oben“, im Lichten und Erhabenen gesucht. Mit Klaus Hemmerle hatte ich verstanden, dass er sich finden lässt im Einfachen, Dunklen, Tiefen, in Leere und Verlassenheit. Diesen Perspektivenwechsel habe ich ihm zu verdanken. An seinem Grab war mir, als wollte er mir sagen: das Leben geben heißt, die Sonne vom Himmel auf die Erde und unter die Erde zu holen und von dort alles zu erhellen, vergöttlichen.

Die Beziehung zu Klaus Hemmerle war nach seinem Tod nicht weniger intensiv. Ich erinnere mich, dass ich ihm kurz nach seinem Weggang einen Wettbewerb anvertraut habe, bei dem ich ein Projekt präsentieren sollte. Ich bekam den Zuschlag - ein Zeichen für die „andauernde Zusammenarbeit“ mit ihm.

Ich war durch äußere und innere Umstände, die Gott geführt oder zugelassen hatte, Jahre zuvor in einen Engpass geraten: Kunst oder Kirche? Meine persönliche Entscheidung, Gott im Fokolar zu folgen, schien plötzlich unvereinbar zu sein, mit meiner künstlerischen Arbeit bzw. Weiterentwicklung. Ein angesagter Ortswechsel brachte auch das Ende vieler Kontakte mit sich, die sich im künstlerischen Bereich ergeben hatten. In Klaus Hemmerle fand ich damals eine „prophetische“ Persönlichkeit, die mir die Sicherheit gab, dass es auf diesem Weg des radikalen Lebens für Gott und im Dienst an der Kirche einen Neubeginn für meine Kunst geben würde.

Wie Maria, die am Fuß des Kreuzes auf alles verzichtet hatte, auf ihren Sohn und ihre persönliche Mutterschaft, und so den Weg frei machte für die Pläne Gottes und damit für ihre universelle Mutterschaft für die Kirche und die gesamte Menschheit, so konnte auch mein Verzicht den Grund legen für etwas Neues, das Gott wirken wollte. Und es ereignete sich das Paradox des Evangeliums, das im Sterben neues Leben verheißt: Kaum ein Jahr, nachdem ich „alles gelassen“ hatte, bekam ich unerwartet erste Aufträge in Glaskunst, einer künstlerischen Disziplin, die mich seit meinem Studium fasziniert hatte.

In mir fand die Fähigkeit von Klaus Hemmerle, sich mit Worten „bildlich“ auszudrücken eine große Resonanz. Einmal sprach er in Ottmaring über die Bild-Not um Maria und erklärte: „Wir brauchen heute, nachdem die individuellen Bilder oft sehr fremd sind, Bilder, die wir sind, in gegenseitiger Beziehung.“ Damit erhellte sich mir ein Grundthema meines künstlerischen Schaffens.

Von klein auf hatte ich mir gewünscht „etwas Schönes für Gott zu machen“. Doch ich hatte nie daran gedacht, im sakralen Bereich zu arbeiten und „fromme Bilder“ zu malen. Nach dem Studium an der Kunstakademie war ich fasziniert von der Fülle und der Vielfalt der Wahrnehmungen und der Erscheinungen in der Natur und meine Arbeiten spiegelten dies wieder. Meine künstlerische Tätigkeit war gewissermaßen Ausdruck der Begeisterung und der ersten Liebe.

Mit den Jahren, durch mancherlei Prüfungen und durch äußere Impulse – wie gerade durch die Begegnung mit Klaus Hemmerle – verdichtete sich meine Wahrnehmung und führte durch Reduktion zu größerer Einfachheit. Mit meinen Bildern wollte ich nicht mehr nur etwas von der Harmonie ausdrücken, die in der Natur zu finden ist und in der Schönheit der von Gott geschaffenen Welt. Ich hatte den Wunsch, dass Gott selbst sich durch meine Kunst ausdrücken könne. Dazu ist kein Willens- oder Glaubensakt nötig, sondern der Übergang in eine andere Dimension: von der individuellen in die gemeinschaftliche bzw. in die trinitarische Dimension. Klaus Hemmerle nannte es „Wir brauchen (...) Bilder, die wir sind, in gegenseitiger Beziehung.“

Die Realisierung des Projektes „LichtChor – Liedkunst im Bildraum“ gemeinsam mit Andrea Reuter (Sopran), Paolo Vergari (Klavier) und Hung (Skulptur) 2003 in Mainz, steht für mich in enger Verbindung mit Klaus Hemmerle und dieser seiner Entdeckung der Gegenseitigkeit als Kunstprinzip. Durch die gemeinschaftliche Dimension wird die je eigene Ausdrucksweise des einzelnen Künstlers bereichert und gesteigert. Musik, Sprache, Bilder und Skulpturen verbanden sich zu einer Gesamtkomposition, in dessen Mittelpunkt der Besucher steht. Er erfährt einen Raum der vielfältigen Beziehung - mit den Werken, den Künstlern, den Besuchern, aber auch mit sich selbst und darüber hinaus.

In einem Brief hatte mir Klaus Hemmerle von seiner Sehnsucht geschrieben, neben der Wirtschaft in Gemeinschaft, auch eine Kunst in Gemeinschaft entstehen zu sehen. Im Charisma der Einheit schienen ihm alle Elemente gegeben, um eine Inkarnation der Spiritualität in der Kunst zu erwarten. Aber es handelte sich dabei nicht um eine vage Hoffnung, sondern um ein glaubendes daran Arbeiten „mit unserem Sein und unserer Stimme“.

Darin ist mir Klaus Hemmerle Vorbild und Weggefährte: im persönlichen Einsatz Moment für Moment, Stunde um Stunde für diese Vision. Alles von Gott aus sehen, aus der Einheit. Mitten in der Welt in der Kontemplation leben. Ihn finden in den Dingen, in den Menschen, in jeder Begegnung und Ihm Ausdruck verleihen durch meine Arbeit. Es sind besondere Glücksmomente erleben zu dürfen, dass Gott sich unserer Fähigkeiten bedient, um heute in der Welt von sich zu sprechen.

Die Frage: „Kunst oder Kirche?“ hat ihre ursprüngliche Brisanz für mich verloren. Ich durfte mit Staunen erleben, dass der vermeintliche Engpass hinein in die „fest umrissene“ Kirche und weg von der „freien“ Kunst mir einen neuen unendlichen Raum erschloss. In der Kirche fand ich Maria, die neue Schöpfung, Mutter der Kirche und der Menschheit. Sie hat das größte Kunstwerk, Gott selbst, hervorgebracht und hatte wahrscheinlich nie einen Pinsel in der Hand. Sie ist Ikone der Kirche und bekleidete kein einziges Amt. Profane oder sakrale Kunst war damit kein Entweder-Oder, sondern ein Miteinander und Ineinander und Füreinander.

Ist es ein Zufall, dass ich genau zehn Jahre nach dem Tod von Klaus Hemmerle in „unserer“ Heimatstadt Freiburg einen Wettbewerb gewonnen habe? Es handelt sich um die Gestaltung von sechs großformatigen Glasfenstern im neuen Speisesaal des Collegiums Borromaeum. Die Aufgabenstellung schloss figuratives Arbeiten aus und forderte zur Gestaltung rein über die Farbe auf. So entstand ein farblich anregender „Bilderzyklus“ im spannenden Dialog zur ruhigen und klaren Gesamtgestaltung des Raumes. Zugrunde liegt der Weg der Sonne im Tagesverlauf, wie er an entsprechenden Stellen in den Evangelien belegt ist. Der anbrechende Morgen, der heiße Mittag, der ruhige Abend, die dichte Nacht – Jesu Wirken ist an Raum und Zeit gebunden; Grenzen, denen auch wir unterworfen sind. Die inneren Wirklichkeiten werden rein atmosphärisch vermittelt und sind damit allgemein verständlich.

Klaus Hemmerle ist mir ein sicherer Begleiter bei meiner künstlerischen Arbeit. Er hält mich offen für den Dialog und für die gestalterischen Aufgaben in Beziehung zu andern, zum Andern.

Annemarie Baumgarten