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Eine umfassende Dimension – vom Geheimnis der Schönheit

Als ich gefragt wurde, ob ich aus Sicht der Künstlerin etwas zum Thema: „Gott ist schön“ sagen möchte, habe ich spontan zugesagt, denn dieses Thema ist mir vertraut. Es beschäftigt mich seit meinem Studium, ja eigentlich noch davor: Schon als Kind hatte ich eine Art „Berufung zur Schönheit“ gespürt und dies intuitiv in Beziehung zu Gott gebracht.

Doch je länger ich darüber nachdachte, wie ich meine Gedanken in Worte fassen könnte, umso begrenzter fühlte ich mich. Wie sollte ich mit Worten ausdrücken, was Pinsel und Farbe viel angemessener taten? .

Da kam mir ein Gedanke zu Hilfe. Es ging nicht darum, von der Schönheit Gottes zu sprechen, und damit eine unermessliche Wirklichkeit in eine präzise Form zu zwingen. Und doch hatte ich im Laufe der Jahre einige - im Rückblick gesehen - wichtige Momente erlebt, die mir den persönlichen Zugang zur Dimension der Schönheit erleichtert haben. Diese möchte ich skizzieren:

1. Flash: eine Studentin sucht Harmonie

Wir befinden uns in Karlsruhe, in den heißen 68ern. Eine junge Studentin, die an der Akademie der Bildenden Künste zum Erstaunen ihrer Lehrer sofort einen Studienplatz erhält, befindet sich unvorbereitet mitten in der Welle der Kontestation, die über die Hochschulen hinweg spült. Die Gesellschaft wird kritisch durchleuchtet und hinterfragt. Auch die Ausdrucksformen der Kunst verändern sich. Die Studentin folgt ihrer Intuition, wendet sich Motiven aus Landschaft und Vegetation zu. Ein Meisterschüler schaut sich ihre Zeichnungen an: „Das sind alles harmonische Darstellungen. Doch heute geht es mehr um das, was wirklich ist.“

2. Flash: ein Bruder mischt sich ein

In Heidelberg, gegen Ende der 80er Jahre, ist die in den Schuldienst übernommene ehemalige Studentin nun eine anerkannte Kunstpädagogin mit wenig Zeit für die eigene Malerei. Im Sommer waren mehrere Landschaftsaquarelle entstanden, und der Gedanke einer Ausstellung lag nahe. Im Gespräch mit ihrem Bruder verändert sich ihre Sichtweise vollkommen: „Verschließe nicht die Augen vor dem, was dich in der Realität stört.“ Die Ausstellung fand kurz darauf statt - mit neuen Werken, die sozusagen ohne selektive Wahrnehmung und mit „anderen“ Augen entstanden waren.

3. Flash: eine Kollegin teilt sich mit

Etwa 15 Jahre später treffen wir die Kunstpädagogin in Frankfurt wieder. Sie hat mittlerweile mehrere Wettbewerbe gewonnen, wurde bei Kirchenrenovationen und Raumgestaltungen um Mitarbeit gebeten, trifft sich regelmäßig mit Künstlern andererer Disziplinen und erarbeitet gemeinsame Projekte. Sie pflegt Kontakte zu ehemaligen Schülern, zu Kollegen und Bekannten, die regelmäßig an ihren Ausstellungen und Kunstprojekten teilnehmen. Mancher nimmt dafür weite Wege auf sich. Eine Kollegin, die sich zur Hochzeit zusammen mit ihrem Mann ein Bild ausgesucht hatte, macht ihr eines Tages eine vertrauliche Mitteilung. „Weißt du eigentlich, dass ich durch deine Kunst den Glauben wiedergefunden habe?“

Diese „Momentaufnahmen“ lassen sich verdichten. Weniger chronologisch als transversal betrachtet ergeben sie drei Dimensionen meiner künstlerischen Arbeit. Flash 1 zeigt die Achse der Authentizität. Sie ist die Grundlage, d. h. wahrnehmen, was da ist. Darauf baut sich - verdeutlicht in Flash 2 - die Achse des Kontrastes, der Spannung auf, d. h. zulassen, was stört, es integrieren. Die Achse der Botschaft angedeutet in Flash 3, d.h. Unsichtbares sichtbar machen, eröffnet einen Raum. Was sich in diesem Raum abspielt, liegt an mir. Vielleicht gelingt es mir nicht immer, meinen Werken jene Aura des Schönen und Erhabenen mitzugeben, die ich tief in mir trage. Denn Begegnungen – ich erinnere mich insbesondere an einen Eindruck tiefen Friedens und übernatürlicher Schönheit vor Jahren am Totenbett eines kleines Mädchens – brennen sich in die Seele ein und werden zum Maßstab meines Schaffens und wahren Empfindens.

„Was lässt uns die Malerin sehen? Sie lässt uns Licht sehen, Licht und noch mehr Licht. Es ist ein Licht, das aus den Dingen herausleuchtet und neue Visionen und Sinnhorizonte eröffnet. Wir sind fast eingetaucht in dieses Licht. Das Licht kommt aus dem Hintergrund. Kein Licht, das auf die Gegenstände projiziert wird, sondern es leuchtet aus ihnen heraus und nimmt unseren Blick, unseren Geist und unser Herz gefangen.“

Dieses Zitat von Mario Cossali, Kunstkritiker und Berater des MART (Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Trient) zu meinem Exponat auf einer Gemeinschaftsausstellung in Modena drückt in wenigen Worten aus, was ich oftmals von Betrachtern meiner Werke oder Besuchern von Veranstaltungen höre. Zuletzt durfte ich im Centre de Rencontre et Formation in Montet (Schweiz) bei einer internationalen Veranstaltung erleben, welche „Sprache“ die 14 Tafeln der VIA LUCIS sprechen, die ich 2003 einem Impuls aus dem Evangelium folgend gemalt hatte. „Der Künstler vermittelt das Göttliche.“ - „Jede Tafel strahlte Licht aus und führte mich zum Licht, von unten nach oben.“ - „Ich bin kein Kunstkenner, doch die Farben der Tafeln sprechen eine deutliche Sprache, sie vermittelten Schönheit.“ - „Ich kann mich jetzt für die zeitgenössische Kunst, die ich bisher bewusst ausgeblendet hatte, öffnen.“.

Kürzlich habe ich eine erstaunliche Beobachtung zur Schönheit gemacht. Ich befand mich auf der documenta XII in Kassel. Die Weltausstellung der Künstler hat Besucherrekorde zu verzeichnen. Während einer Verschnaufpause, die ich brauchte, um die Fülle der Kunstwerke aus fünf Kontinenten aufnehmen zu können, saß ich auf einer Bank und beobachtete die vorbei strömenden Besucher. Plötzlich war ich wie gebannt: „Jede Person hier ist schön, so wie sie ist“.

Ich verstand, dass es die Beziehungen sind, die schön machen. Die Menschen auf der documenta XII, die einzeln genommen oder in einen anderen Zusammenhang gestellt, nichts Besonderes oder Anziehendes hatten, waren hier die Protagonisten einer Art Choreographie. Alle hatten denselben Beweggrund. Sie waren gekommen, um ihre Zeit den Kunstwerken und den Künstlern zu widmen. Und dazu formierten sich immer neue Gruppen und Konstellationen.

Schönheit besitzt sozusagen eine umfassende Dimension neben Authentizität, Spannung und Licht. Sie wird erfahrbar in der Bewegung des Einzelnen, in der Hinwendung zueinander und füreinander. Sie ist nicht statisch, sondern abhängig vom Zusammenspiel, vom Hintergrund, von der Bewegung. Sie erfüllt das Herz mit Freude und zugleich Wehmut, sie nicht festhalten zu können. Wir werden uns unserer Endlichkeit bewusst und finden Schönheit beständig im Jetzt.

Annemarie Baumgarten, in PRISMA; 2/2007