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dem leben glanz verleihen
Gedanken zur Ausstellung von Annemarie Baumgarten

Diese helle, lichte Atmosphäre hier berührt mich. Ich fühle mich wie in einem Raum aus Licht, ganz sonnen-täglich. Das spürbare Licht macht mich aufmerksam auf eine menschliche Besonderheit: auf unsere seelische Empfindsamkeit für hell und dunkel, für Glück und Schmerz.

Ich selber war Schmerzpatientin und weiß um die Bedeutung von Therapieräumen.

Der körperliche Schmerz rüttelt am Selbstbewusstsein und nagt am Gefühl der Zugehörigkeit zum Ganzen des Lebens. Wer solches erfahren hat, der weiß im Herzen um den Glanz heilender Nähe und respektvoller Zuwendung.

Ein Mensch im Dunkel entwickelt einen besonderen Durst nach Licht, ein besonderes Gespür für das leise Leuchten der Dinge und eine besondere Dankbarkeit für die Ahnung des absolut Heiligen inmitten der Gebrechlichkeit.

Tiefenpsychologisch gesehen, brauchen wir sogar Signale des Entsetzens für unsere Gewissensbildung, für die Unterscheidung des Wesentlichen. Es gibt den nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Bewusstwerden von Schmerzen und geistiger Veränderung, zwischen physischen Spannungen und seelischen Vorgängen.

Die Bilder von Annemarie Baumgarten vom Leuchten der Dinge und vom Licht in unseren Seelen öffnen unsere Sinne für die wirkliche Wirklichkeit. Die Künstlerin weiß sich erblickt vom Licht. Und das macht das Auge sehend und die Hand fühlsam.

Das Thema der Ausstellung „dem leben glanz verleihen“ beschreibt einen Vorgang in ihrer und unserer Seele. Sie bildet nicht ab, malt nicht nach, was schon besteht.

Sie erweist mit ihrem Werk eine Referenz dem Patienten, der hier Linderung erwartet, dem Schmerztherapeuten, der mitfühlt und mitdenkt. Sie beschreibt im Voraus den Sinn von Krankheit und Schmerz, von Linderung und Tröstung in diesen Praxisräumen.

In diesen Bildern finde ich weder die Künstlerin noch ihre Kunst, sondern ich bin im Bild wie in einem Spiegel meiner selbst. Ich schaue mich an und höre mir zu. Und immer ist zugleich ein Mehr als ich selber im Gespräch mit mir. Jeder Blickwinkel, jedes Bild, ist wie ein Zeigefinger aus Licht in eine ganz und gar individuelle Ermöglichung unserer Selbst.

Mich erblicken lassen vom Gegenüber dieser Lichtskizzen, das ist die Einladung, die an mich, den Betrachter, ergeht. Es ist wie beim Lesen einer Ikone: Die heilige Stimme hinter der Darstellung spricht zu mir, ich fühle mich angesprochen und empfinde meine Ansprechbarkeit von mehr als ich selber bin. Ich lasse mich erblicken von dem Auge, das mich anschaut und bin – in diesem AugenBlick – ganz ich selbst.

Ein sehr einfaches Bild aus der Natur hilft mir, mich einzulassen auf diese ungewöhnliche Zuwendung zu mir und über mich hinaus. Ich denke an das keimende Samenkorn. Es erkennt oben und unten. Zielsicher verwurzelt es sich im Erdreich, zielsicher schiebt sich das Keimblatt nach oben über den Erdrand hinaus in das ganz andere Milieu des Lichts. So entwickelt das keimende Korn die ihm eigene Empfänglichkeit für das ihm notwendige Licht aus dem Licht.

Auf andere Weise verwurzeln wir uns biologisch und mental in unserer Erdenkultur aus Arbeit und Erfolg, Niederlage und Glück. Und gleichzeitig heben wir unsere Sehnsucht weit über diesen Erdenrand hinaus in das Licht des Göttlichen. Und wir ahnen es alle: Wir gehören dem Licht, das sich inmitten aller Verworrenheit als Wahrheit, inmitten von Krieg und Hass als Liebe, inmitten von Krankheit und Unordnung als heilende Kunst offenbart.

Ruth Seubert, Institut Simone Weil, Marktheidenfeld