Titel "Kathedrale", 2010, Acryl auf Holz,
aus der Ausstellung "Weg und Transparenz"
Licht – die wesentliche Dimension in unserem Bewusstsein
Eine Begegnung mit Bildern von Annemarie Baumgarten
Vor meinen Augen ereignet sich Licht
Licht nach allen Seiten auf vielen Ebenen
Licht, bewegend und in Form gefasst
Ich lasse die Bilder aus Licht vor meinen Augen leuchten und sprechen.
Licht fällt in mein Empfinden und Denken.
Ein Wort mischt sich ein in mein Schauen:
Licht der Auferstehung,
Auferstehungslicht,
Abendloses Licht.
Da fällt Licht auf das Alltägliche und Neues fällt ein im Alltäglichen.
Unsere Lebenswelt bleibt und erscheint zugleich in einem neuen Licht.
Und darauf kommt es an, auf die neue Einstrahlung.
"Einstrahlung" – dafür gibt es keine gegenständliche Dinglichkeit,
nur Berührung und Begegnung.
LICHT und WORT vermischen sich zu einem milden Leuchten und erhellen Bewusstsein.
ES durchlichtet mich sanft und stetig.
Ich überlasse mich gerne diesem strömenden Licht,
es hüllt mich ein wie ein seiden formender Glanz,
dieses lichte Zusammenspiel von Innen und Außen.
Die Bilder nehmen Form an in meinen Augen.
Leicht gleitet meine Aufmerksamkeit vom Dunkel in die Helle,
Linien fügen sich zu einer Form,
Unbestimmtes klärt auf.
Die Licht-Gestalten offenbaren sich
wie ein Hervortreten aus einem unüberschaubaren Meer
von dunkel-hell leuchtenden Lichtwellen.
Ich erkenne strenge, fordernde Linien,
weich-fließende Übergänge,
harte Abgrenzungen,
aufgerichtete Türme,
schlingernde Wände.
Mir scheint: Jetzt bin ich im Bilde.
Oder ist das Bild jetzt in mir?
Ich weiß es nicht.
Die Bilder wirken eine ungewöhnliche Selbstverständlichkeit in meinem Schauen und Verstehen.
Ich lasse mich beeindrucken und verstehe die Eindrücke
wie längst bekannte Fingerabdrücke in meinem Bewusstsein.
Ich bin erinnert an Einsichten, die mir im Glauben vertraut sind.
Doch so schön und überzeugend,
zum Anschauen wirklich,
zum Greifen zu begreifen,
da werden Gedanken zu einer inneren Führung ins Leben.
Es bedarf jetzt keiner besonderen Nachdenklichkeit,
wenn ich jedem Bild ein Thema, mein Thema zuspreche.
Vielleicht ist es die Ansprache meiner Seele an das Bild,
vielleicht nur jetzt und später wird es ein anderes Thema sein.
Aber die Bilder ereignen sich klar und bleiben doch unfassbar:
Eine kantige Lichtsäule,
drängende Dunkelwellen,
fließendes Gold,
haben je ihre eigenen Tiefen und Ebenen
wie eine Architektur mit räumlichen Tiefen
und einander übertreffenden Perspektiven.
Ich bin berührt und aufgeweckt für etwas sehr Wichtiges:
Menschsein im Licht,
von Angesicht zu Angesicht mit dem dunklen Christus,
der dornengekrönte Gekreuzigte,
wie unsichtbar gemacht und an den Rand gedrängt.
In der Mitte die eine MARIA
und in sich entbindend die Vielen und jedermann.
Hier ist MARIA der eschatologisch geöffnete Raum,
die kommende Welt und die vollendete Menschheit.
Text von Ruth Seubert,
Diplomtheologin, Bildungsleiterin und Projektleiterin im Institut Simone Weil